Amtlich versenkt: Älter als Berlin, Bootsverleih am Plötzensee soll verschwinden

„Es ist mir scheißegal wer diesen Ort hier übernimmt, aber er soll bleiben“ sagt Viola, Stammgästin der Fischerpinte am Plötzensee. Die Boote schaukeln bedächtig auf dem Wasser. „Sie hören Schlagerradio Berlin-Brandenburg – auf 106 Megahertz“ flüstert es aus dem Radio. „Die Wiener sind fertig!“ ruft Mitarbeiterin Anja über den Steg. „Ein Bier und eine Brause bitte.“ „Ein Ruderboot für zwei.“ Die Sonne scheint auf die Gäste des Bootsverleih. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Noch.


Wie beschreibt man am besten einen Ort im Wedding, den ein Teil der Weddinger sehr gut kennen, ein Teil überhaupt nicht und der Rest der Leser und Leserinnen unsicher antworten wird: „Ach der da unten, wo es die Boote gibt, oder?“ Ein Ort, der nicht heute vor dem Aus steht, aber in drei, fünf oder zehn Jahren. Oder morgen.
Und vielleicht beschreibt das dieses unaufgeregte Plätzchen im Wedding am besten. So unaufgeregt und leise wie die Fischerpinte am Ufer des Plötzensees liegt, so unvorhersehbar ist das „Wie-lange-noch?“.

Es ist wichtig zu wissen, dass die Fischerpinte eigentlich „Düring Wolfgang Bootsverleih“ heißt. Denn salopp gesagt, stirbt Herr Düring, stirbt die Pinte. Das möchte das Amt, genauer das Straßen- und Grünflächenamt und das möchte das Umwelt- und Naturschutzamt. Die Erlaubnis diesen Ort zu bewirtschaften hat einzig und allein Herr Düring. Kein Familienmitglied, kein potenzieller Käufer mit dicken Scheinen im Koffer. Kein Aber. Niemand.

Und es ist wichtig zu wissen, dass das Areal, auf dem sich die Fischerpinte befindet, Landschaftsschutz- und kein Naturschutzgebiet ist. Dieser Unterschied ist gewaltig, aber kein Nachteil.

Ein Großteil der Rehberge wurde 1953 unter Landschaftsschutz gestellt, auch die Seite, auf der sich die Fischerpinte befindet, sowie das Gewässer an sich und der Uferbereich.

Wäre die Rehberge ein Naturschutzgebiet, wäre jeglicher menschlicher Eingriff nahezu verboten, ein Landschaftsschutzgebiet dagegen definiert sich unter anderem durch die: „besondere kulturhistorische(n) Bedeutung einer Landschaft oder auch aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die Erholung“ (Quelle). Beides dürfte die Fischerpinte wohl erfüllen.

Vor rund 32 Jahren hat Wolfgang Düring die Fischerpinte erworben. Das Häuschen, nicht das Grundstück. Bereits damals existierte an dieser Stelle ein Bootsverleih mit Imbiss, genau wie jetzt. Das Gebiet gehörte dem Senat, nun dem Bezirk, beziehungsweise der Pachtvertrag mit der Fischerpinte ging vom Senat an das Bezirksamt Mitte über. Irgendwann, so ganz klar ist das wohl nicht, wurde entschieden, dass im Falle des Todes von Herrn Düring die Fischerpinte zurückgebaut werden muss. Ebenso im Falle einer Geschäftsaufgabe. Haus, Steg. Zaun. Abriss. Platt machen. Auf eigene Kosten. Höhe? Niemand weiß es.

Eine Kostenschätzung würde durch das Amt erst im Rahmen einer Beseitigungsanordnung und drohender Ersatzvornahme erfolgen.“ Heißt es vom Straßen- und Grünflächenamt.

„Nicht in die Badeanstalt reinfahren und nicht zu nah ans Ufer!“, ist der freundliche, aber bestimmte Hinweis, wenn eines der Ruder- oder Tretboote den Steg verlässt. „Und nun viel Spaß!“.
Fast genauso regelmäßig, zur Belustigung der am Steg sitzenden Besucher, heißt es danach „Rückwärts rudern, ihr müsst euch drehen. Nee, andersrum“. Je nach Geschick und Lampenfieber der rudernden Person lässt sich anschließend ein ungeschicktes im Kreis paddeln beobachten, bis die richtige Hand-Paddel-Augen-Rücken-Koordination eingenommen wurde. Die Gäste am Steg vergessen währenddessen, dass sich unter ihnen die hektische Metropole befindet. Der entspannteste Ort im Wedding existiert hier nicht nur, er vereinnahmt einen.

„Ich mach nicht mehr lange, kümmere dich um Wolfgang“ war eine der letzten Anweisungen von Monika Düring. Monika, das ist die Frau von Herrn Düring. Wenn Besucher sie beschreiben müssten, reicht zu sagen die Frau mit dem Atemgerät und Kippe, die Strenge, oder einfach die Chefin. Niemand kann an einem Sauerstoffgerät hängen und währenddessen so gemütlich eine paffen. Sie schon. Monika Düring saß immer an ihrem Plötzensee, sie atmet den See, die Fee vom Plötzensee titelte der Tagesspiegel vor einigen Jahren. Die Chefin. Sie stand Anfangs allein in der Küche. Hat Essen zubereitet, Boote rausgegeben, ausgeschenkt, im Sommer nie frei gemacht. „Deswegen isse so kaputt gewesen, weil sie immer 100% geben wollte. Man musste versuchen mit ihr klarzukommen. Für Leute, die kein Geld hatten, hat sie alles gemacht. Herzlich war sie, innerlich. Als ich das erste Mal hier war, dachte ich nur oh Gott. Ich bin zusammengezuckt, nur wegen ihrer Stimme, aber ab dann wurde regelmäßig gekniffelt. Nun sitzt Monika da oben und sagt: ihr kommt jetzt klar!“ Beschreibt sie eine Besucherin. Denn Monika Düring ist tot – Ende April verstorben. Nach Außen war sie die Chefin, aber nicht auf dem Papier. Sonst wäre dieser Ort bereits Geschichte. Es verdeutlicht, wie schnell hier alles vorbei sein kann.

Zurück zu Wolfgang Düring. Mittlerweile 79 und nur noch selten am Ufer des Plötzensees zu sehen. Auch er war eine Zeitlang sehr krank „die haben vorher noch geheiratet, damit sie (Monika) vielleicht die Pinte behalten kann“ verrät eine Stammgästin. „Funktioniert hätte das nicht, das wissen wir nun.“ Und sie verrät weiter: „Die Rente für ihn allein reicht nicht, aber die Einnahmen aus dem Sommer müssen es“ – um anschließend über den Winter zu kommen. Würde er aufhören wollen, woher soll das Geld für den Rückbau kommen? Abgeben kann er es aber auch nicht. „Vorletztes Jahr war das ganz doll. Da kamen ganz viele Leute und wollten kaufen. Monika wollte aber gar nicht, also geht ja eh nicht.“ Und so ist Herr Düring mit dem entspanntesten Ort im Wedding schicksalhaft verbunden – ebenso finanziell und der Ort mit ihm. Eine Abhängigkeit.

Gestemmt wird der Betrieb der Fischerpinte hauptsächlich von Anja und Biene. Bevor die ersten Besucher erscheinen, sind sie schon lange da. Boote säubern, einkaufen, vorbereiten, kontrollieren. Dann Boote rausgeben, ausschenken. „Wiener ist fertig!“ und wenn ein guter Tag ist, den Gästen Musikwünsche erfüllen. Bier verkaufen, Berliner Weiße – nur in Plastebechern (Auflage des Amts), Nüsse, Eis „was macht ihr da? Weg vom Ufer!“, Kuchen, Fischbrötchen, „Bockwurst ist fertig!“, „wir haben keine Boote mehr“. „Um 21 Uhr ist aber Schluss, schaffst du sonst gar nicht mit zwei Leuten. Vor zehn biste trotzdem nicht raus. Die Leute wollen den Sonnenuntergang sehen, aber nach 12 Stunden willst du nach Hause“. Heißt es. „Viele denken du wirst hier reich, aber du kommst gerade so über den Winter. Und es gab schon Jahre, wo es fast gar nicht mehr ging. Finanziell.“ Und ergänzend: „Es würde uns am Herzen liegen die Toiletten zu machen. Aber wie lange geht das hier noch (mit Herrn Düring). Man kann kaum nach vorne schauen.“


Verhältnis zum Strandbad:

„Die haben immer gesagt: wenn was ist, ihr Hilfe braucht, dann kommen wir rüber, was wir denen hoch anrechnen. Manchmal haben die Leute das Boot auf dem See stehen lassen, dann haben die uns das rüber geschleppt. Nun nehmen wir die Ausweise. Einige verstehen das nicht, hier darf nicht gebadet werden. Einmal war eine Frau hier und ist ins Wasser. Ich sag sofort raus hier. Dann kam der Schwan und haut ihr aufn Kopf. Da musste ich sie rausziehen, sie war betrunken. Voll wie 1000 Eimer.“

Das Amt, der Uferschutz und die Zukunft

Das ist das Leben an der Fischerpinte und mit ihr, aber es gibt noch die behördliche Seite. Die Fischerpinte ist wie beschrieben im Landschaftsschutzgebiet, das Ufer gilt aufgrund der Flora und Fauna als besonders schützenswert. Neue, höhere Zäune sollen das Ufer schützen. Seit September 2021 herrscht ein „Betretungsverbot für bestimmte Uferbereiche“, genauer gesagt alles zwischen Fischerpinte und Strandbad. Nur hält sich niemand daran, kontrolliert wird das so gut wie nie. Eine Besucherin meint: „Simme doch mal ehrlich: die Preise da drüben (Strandbad) können ja nicht alle bezahlen. Familie plus Kinder – Essen kannste mitnehmen, aber dann willst du ja auch mal ein Eis, oder so. Als Hartz-IV-Empfänger haste so und so viel am Tag, ja dann gehste Wildbaden. Wieso fördert man das nicht mehr?“ (das Strandbad)

Es ist der 03. Juli. Auf 30,5°C wird das Thermometer an diesem Tag im Wedding klettern. Abkühlung bieten nur die Grünflächen der Rehberge, Abseits des Beton, sowie das kühle Nass. Die Boote am Bootsverleih Plötzensee schaukeln bedächtig auf dem Wasser, ein leichter Wind weht über den See. Wir befinden uns im Jahr 1920.
Mindestens seit 1920 gibt es einen Steg an der Stelle der heutigen Fischerpinte, inklusive Boote. Somit existiert dieser Ort länger als die Stadt Berlin, wie wir sie heute verstehen.
Mindestens seit 1946 wird ein Bootsverleih am Nordufer 23 im Branchenverzeichnis der Stadt aufgeführt – die Adresse der Fischerpinte. Und mindestens in der Pächtergeneration vor Herr Düring gab es zusätzlich zum Bootsverleih einen Ausschank. Wahrscheinlich aber ebenso lange wie der Steg existiert. So ist die Fischerpinte längst ein eigenes Weddinger Denkmal und ist mit der Flora und Fauna des Sees verwachsen. Hat Berlin entstehen sehen, hat den Wedding zum Wedding werden lassen, hat erlebt, wie Wedding auf dem Papier zu Mitte wurde und von Gesundbrunnen getrennt wurde. Gehört zum Plötzensee und andersrum.

Am Plötzensee gab es damals nicht nur das Strandbad (im Bau), sondern 2 Militärbadeanstalten (link & rechts).
Der Steg mit Booten ist im vorderen Bereich zu sehen. Bild von 1920

„Für die erforderliche Ausnahmegenehmigung im Landschaftsschutzgebiet müsste jedoch das Umwelt- und Naturschutzamt zustimmen. Beide Ämter eint die Fürsorge und die Bemühungen zum Schutz der Natur, so dass hier keine andere Entscheidung möglich ist. […]

So heißt es aus dem Grünflächenamt, im Umkehrschluss heißt es aber auch: das wurde damals so beschlossen und entschieden. Aber es wurde nicht beschlossen, weil es musste, sondern weil es sollte. Vor vielen, vielen Jahren.

Das Bezirksamt hat bereits 2011 auf eine Anfrage der Bezirksverordnetenversammlung mitgeteilt, dass aus Umweltschutzgründen weder eine neue Verpachtung noch eine Untervermietung in Betracht kommen. […] Bereits 2011, knapp 20 Jahre nach dem Vertragsabschluss durch die Senatsverwaltung, war diese Entscheidung Ausdruck eines Paradigmenwechsel hinsichtlich eines höheren Schutzbedürfnisses des im Landschaftsschutzgebiet liegenden Plötzensees.“ Heißt es weiter vom Grünflächenamt.

Das Umwelt- und Naturschutzamt beschreibt sich auf ihrer Homepage „die wachsende Stadt mit ihrer immer stärkeren Verdichtung und deren Folgeerscheinungen bestimmen die Arbeit des Umwelt- und Naturschutzamtes […]. Diesen Herausforderungen kann nur durch eine interdisziplinäre Aufgabenwahrnehmung begegnet werden.“ Das klingt schon mehr nach 2022 als 1990, zumindest auf dem Papier.

links: Plan von 1931 – inklusive Hausnummer 23 I Mitte: Branchenverzeichnis Berlin von 1946 I rechts: Plan von 1946

Das verändert die aktuelle Lage allerdings nicht. Abriss, komme was wolle. Nur hat sich diese Stadt in den letzten Jahren verändert. Immer mehr Freiflächen verschwinden, die Stadt wird voller, sie wird wärmer und die Menschen entdecken ihre Nachbarschaften stärker als vor einigen Jahren. Wieso spiegelt sich das nicht in aktuellen Beschlüssen wider, oder werden Entscheidungen auf das Jetzt angepasst? Wieso wissen die meisten Erholungssuchenden der Rehberge gar nicht, dass sie sich teilweise in einem Landschaftsschutzgebiet befinden? Welchen Stellenwert das Ufer des Plötzensees hat? Was die Zäune wirklich bedeuten und erodierende Uferabschnitte? Wieso installiert man nicht Infotafeln am Steg der Fischerpinte zur Flora und Fauna? Zu den Vögeln, Fischen, Enten – möglicherweise auch zu den Schildkröten und erklärt, warum das restliche Ufer so wichtig ist.
Das wird nicht zwangsläufig die Wildbadenden abhalten, aber es schafft ein Bewusstsein. Das Amt versucht schon seit längerem für das Thema zu sensibilisieren, aber sporadisch eingesetzte Parkranger und kaum sichtbare Hinweistafeln scheinen nicht die Lösung zu sein.

Alles im Blick, Biene von der Fischerpinte. Wenn es sein muss, kommt das Megaphon zum Einsatz.

Wie soll vermittelt werden, dass Uferschutz wichtig ist, gleichzeitig aber die Kontrollen sowieso nicht stattfinden und genau die Ecke, an der aufgepasst wird und die Fischerpinte steht, verschwinden soll? Was erwartet das Amt, wenn die Fischerpinte in einigen Jahren direkt am Ufer vor sich hingammeln wird, weil sie niemandem mehr gehört und Geld für den Rückbau gar nicht vorhanden ist, der zusätzlich bestimmte Kriterien eines Landschaftsschutzgebietes erfüllen muss? Wieso geht das Amt davon aus, dass wider bessere Erfahrung alles gut werden wird? Zu oft hat sich Berlin schon geärgert Dinge abzureißen oder zu verkaufen, um es wenige Jahre später zu bereuen. Stichwort kulturhistorisch.

Es stimmt, laut Gesetzestext zum Landschaftsschutzgebiet Rehberge sind Bauten und Verkaufsstände nicht zulässig, nur gab es die Pinte a) 1953 schon b) waren bis heute 2-3 Betreiberwechsel kein Problem und c) sind Ausnahmegenehmigungen erlaubt.


Niemand möchte, dass irgendwann der nächste Investor um die Ecke kommt und dieses Kleinod kauft, weil der Koffer der Größte ist. Aber genau weil das Areal sich im Landschaftsschutzgebiet befindet, weil es vom Amt verpachtet wird, besteht die Möglichkeit die fairste Lösung unter allen vorzubereiten. Ganz im Sinne einer immer voller werdenden, sich verdichtenden Stadt. Nach dem Tode von Herrn Wolfgang Düring liegt es in der Hand des Amts, die Fischerpinte in einem fairen und sozial ausgerichteten Interessenbekundungsverfahren, wie beispielsweise beim Parkcafé Rehberge, als Ort erhalten zu lassen. Nur muss das jetzt vorbereitet werden und neu gedacht werden. Strandbad, Freiluftkino, Sportanlagen und der missachtete Bootsverleih als fünftes Rad am Wagen. Sie alle können zusammen für ein besseres Bewusstsein von Weddingern und Natur sorgen. Würde dieser Ort nach über 100 Jahren verschwinden, wäre es ein weiteres echtes Berliner Original, das für immer weg ist, aber viele Originale hat diese Stadt nicht mehr, vor allem keine so in die Natur verwachsenen wie der entspannteste Ort im Wedding, die Fischerpinte.

Mit dem Erscheinen dieses Artikels beginnt eine Unterschriftensammlung in Form eines Einwohnerantrages mit dem Titel: Ermöglichung einer Ausschreibung nach dem Todes Wolfgang Dürings. Die formulierten Forderungen werden so an die BVV herangetragen. 1000 Unterschriften werden benötigt. Ist der Einwohnerantrag zulässig, entscheidet die Bezirksverordnetenversammlung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Antrags. Die Listen liegen am Tresen der Fischerpinte aus.


Kurz vor Veröffentlichung dieses Artikels wurde durch die Linksfraktion in der BVV-Mitte ebenfalls ein Antrag eingebracht, um einen Weiterbetrieb der Fischerpinte zu ermöglichen.

Vor 5 Jahren erschien erstmals ein Beitrag bei uns über die Fischerpinte.
Urig-schön am See: Wedding am Wasser: Fischerpinte – das Prinzip Eckkneipe

Er schreitbt hier so rum, von etage 19 her und natürlich testweise für den WW und das FOxTheme bevor dat hier live geht.
Frage ist, ob auch Links gehen oder nicht

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